DFG-Empfehlung Nr. 17 – eine Analyse und ein Vorschlag

Am 3. Juli 2013 hat die Mitgliederversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mehrere Ergänzungen zu ihren Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis beschlossen. Diese wurden am 4. Juli veröffentlicht. Im Vorfeld hatten ich und andere Befürchtungen geäußert, dass insbesondere eine neue Empfehlung – Nr. 17 – den offenen wissenschaftlichen Diskurs einschränken könnte. Stefan Heßbrüggen hat am 2. Juli 2013 auch eine Petition gegen diese neue Empfehlung und die ihr zugrundeliegende Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gestartet.

Haben sich nun unsere Befürchtungen bewahrheitet? Darauf hat noch niemand eine Antwort.
Die DFG-Empfehlung ist weit weniger drastisch formuliert als es noch die HRK-Empfehlung war. Zumindest der zweite Teil der Empfehlung ist aber trotzdem unnötig, stiftet Unsicherheit, und beschädigt Vertrauen.

Im Folgenden versuche ich, zu klären, was Empfehlung Nr. 17 für den allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs, für die Aufklärung von Fehlverhalten und für das Vertrauen in das Wissenschaftssystem bedeutet.

Updates:
14.07.2013: Stefan Heßbrüggen diskutiert auf Carta intensiv den Konflikt zwischen DFG und HRK bezüglich Whistleblowern.
12.07.2013: Nachtrag: wie schon am 10.7. korrigiert (siehe unten), entspricht die verabschiedete DFG-Empfehlung der Beschlussvorlage des DFG-Senats.
12.07.2013: In einem merkwürdigen Editorial vom 10.07.2013, das mehrere faktische Fehler enthält, hat die Fachzeitschrift Nature die DFG-Empfehlungen kritisiert.
10.07.2013: Die DFG hat in einer Pressemitteilung noch einmal explizit erklärt, dass sich die Vertraulichkeit rein auf das Ombudsverfahren bezieht, nicht auf sonstigen wissenschaftlichen Diskurs.

Die DFG-Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis

Als Reaktion auf den Fälschungsskandal Herrmann/Brach veröffentlichte die DFG am 17.6.1998 sechzehn Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis.
In diesen wird relativ klar beschrieben, was gute wissenschaftliche Praxis umfasst, und was wissenschaftliches Fehlverhalten ist. Viele Hochschulen haben seither die DFG-Empfehlungen als Basis für eigene interne Richtlinien verwendet und verweisen explizit auf diese. Konkurrierende Richtlinien gab es bisher nicht.
Die DFG-Empfehlungen stellen damit einen Minimalkonsens dar, bezüglich der Frage, was gute wissenschaftliche Praxis umfasst.
Aber die DFG-Empfehlungen sind auch verbindlich für alle Wissenschaftler und Hochschulen, die DFG-Förderung erhalten. Wer gegen diese verstößt, kann von weiterer Förderung ausgeschlossen werden (Empfehlung 14).
Gerade für Nachwuchswissenschaftler kann ein Ausschluss aus der DFG-Förderung die Karriere beenden.

Weil die DFG-Empfehlungen allgemein anerkannt sind und Verstöße dagegen Sanktionen nach sich ziehen können, stellen sie einen gemeinsamen Wertekanon über Fachgrenzen hinweg dar.

Ich bin ein großer Anhänger dieser Original-Empfehlungen.

Was bisher geschah

Am 14.3.2013 beschloss der DFG-Senat eine Ergänzung der bisher gültigen Empfehlungen.
Welchen Wortlaut der Empfehlungen der Senat verabschiedet hat ist unklar. (Update, 10.07.2013 – siehe unten)
Am 14.5.2013 veröffentlichte die HRK eigene Empfehlungen, in denen die Aufdeckung von wissenschaftlichem Fehlverhalten selbst als Fehlverhalten bezeichnet wurde:

“Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. […] (vgl. geplante Ergänzung zu DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlung 17, siehe Fußnote 1).”

Da die HRK-Empfehlungen explizit auf eine neue DFG-Empfehlung Nr. 17 verwiesen, machten sich einige Wissenschaftler Sorgen, dass auch die neuen DFG-Empfehlungen in Zukunft Wissenschaftler zum Schweigen über Fehlverhalten verpflichten könnten.
Zu diesem Thema hatte ich einen ziemlich langen Blogeintrag geschrieben.

Auf der diesjährigen Jahresversammlung der DFG stimmten die Mitglieder (v.a. Hochschulen und Forschungseinrichtungen) am 3.7.2013 für eine Ergänzung der bisher geltenden Regelungen. Diese wurden am 4.7.2013 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Offensichtlich hatte die Mitgliederversammlung vorher einige Änderungen an der Beschlussvorlage des DFG-Senats vorgenommen.

Gegenüber den HRK-Empfehlungen wurde die DFG-Empfehlung Nr. 17 deutlich entschärft.

(Update,  10.07.2013: Marco Finetti, Pressesprecher der DFG, hat mich darauf hingewiesen, dass die vom DFG-Senat verabschiedete Beschlussfassung ohne Änderungen von der Mitgliederversammlung beschlossen wurde. Das bedeutet wohl, dass die HRK in Kenntnis der kommenden DFG-Empfehlung eine schärfer formulierte Empfehlung für richtig hielt.)

Der Inhalt von DFG-Empfehlung Nr. 17

Die eigentliche Empfehlung Nr. 17 klingt gut:

“Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen spezifizierbaren Hinweis auf einen Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens geben (Hinweisgeber, sog. Whistleblower), dürfen daraus keine Nachteile für das eigene wissenschaftliche und berufliche Fortkommen erfahren. Die Vertrauensperson (Ombudsman) wie auch die Einrichtungen, die einen Verdacht überprüfen, müssen sich für diesen Schutz in geeigneter Weise einsetzen. Die Anzeige muss in „gutem Glauben“ erfolgen.”

Weder ich, noch irgendjemand den ich kenne, hat daran etwas auszusetzen. In den dazugehörigen Erläuterungen wird diese Empfehlung aber unter anderem wie folgt ergänzt:

“Die Überprüfung anonymer Anzeigen ist durch die Stelle, die den Vorwurf entgegennimmt, abzuwägen.
[…]
Die Vertraulichkeit des Verfahrens ist dann nicht mehr gegeben, wenn sich der Whistleblower mit seinem Verdacht zuerst an die Öffentlichkeit richtet, ohne zuvor die Hochschule oder Forschungseinrichtung über den Hinweis des Verdachts eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu informieren. Die untersuchende Einrichtung muss im Einzelfall entscheiden, wie sie mit der Verletzung der Vertraulichkeit umgeht. Es ist nicht hinzunehmen, dass die frühzeitige Herstellung der Öffentlichkeit durch die informierende Person einen Reputationsverlust des Betroffenen zur Folge hat.”

Dieser Passus ähnelt offensichtlich den HRK-Empfehlungen, wurde aber im Vergleich dazu deutlich entschärft weniger scharf formuliert.
Zum einen wird die Vertraulichkeit jetzt nur noch verletzt, wenn der Whistleblower vor einem Hinweis an die Hochschule an die Öffentlichkeit geht. Zum anderen wird die öffentliche Diskussion von wissenschaftlichem Fehlverhalten nicht mehr selbst als wissenschaftliches Fehlverhalten bezeichnet.

Das ist gut. Was aber bedeutet Empfehlung Nr. 17 nun in der Praxis?

Welche Folgen hat Nr. 17?

Die meisten meiner ursprünglichen Kritikpunkte an der (vermuteten) Beschlussfassung von Nr. 17 treffen auch noch auf die jetzt verabschiedete Fassung zu. Unserer zentralen Sorge wurde aber begegnet.

Im wissenschaftlichen Diskurs wird es hoffentlich kaum Einschränkungen geben. Zwar ist die DFG-Empfehlung sehr schwammig gehalten, aber weil sich die DFG von der Absolutheit der HRK-Empfehlung distanziert hat, nehme ich an, dass man dort nicht vorhat, kritischen Rezensenten mit Förderungsentzug zu drohen.
DFG-Präsident Strohschneider hat auch explizit darauf hingewiesen, dass der wissenschaftliche Diskurs nicht eingeschränkt werden solle.

Für VroniPlag & Co. – die ganz offensichtlich Ziel der Empfehlung Nr. 17 waren – ändert sich auch nichts.
Schon seit geraumer Zeit wird dort vor “Veröffentlichung” einer Plagiatsdokumentation die betreffende Hochschule per E-Mail informiert. Dies geschieht in der Regel nicht anonym, sondern durch eine der namentlich bekannten Beteiligten. So sieht es zumindest ein Teil der VroniPlag-Leute.
Tatsächlich finden sich aber schon dokumentierte Plagiate im VroniPlag-Wiki bevor ein Fall auf der Homepage veröffentlicht wird. Insofern könnte sich eine Hochschule auf den Standpunkt stellen, dass man zu spät informiert wurde.

Universitäten können anonyme Hinweise auf Fehlverhalten in Zukunft mit Verweis auf die DFG-Empfehlungen ignorieren. Dies bekräftigt auch DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek:

“Wir haben anonyme Anzeigen ausgeklammert”

Damit wehrt man vielleicht nicht nur böswillige Denunzianten ab, sondern natürlich auch Hinweisgeber, die Angst um ihre eigene Karriere haben. Diesen Aspekt hatte ich schon im voraus kritisiert.

Ein Punkt wird in Empfehlung Nr. 17 unverständlicherweise gar nicht angesprochen: Wie lange soll die Vertraulichkeit denn gelten?
Zwar sehen die Empfehlungen vor, dass Hochschulen eine Frist zur Bearbeitung von Hinweisen definieren. Es wird aber nirgends erklärt, ob die Vertraulichkeit nur bis zur Meldung an die Ombudsperson notwendig ist, bis zum Ende des Verfahrens gelten soll, oder anhalten soll, bis alle gerichtlichen Anfechtungen einer Entscheidung abgeschlossen sind.

Hier wird die zentrale Schwäche von Empfehlung Nr. 17 deutlich: viele Formulierungen sind unpräzise und unterschiedlich interpretierbar. Das ist schlecht und hätte nicht sein müssen. Dies kritisiert auch Stefan Heßbrüggen in einem Beitrag auf Carta.

Außerdem haben wir jetzt zwei gewissermaßen konkurrierende Empfehlungen von DFG und HRK. Es kann also gut sein, dass in Zukunft einige Universitäts-Richtlinien Whistleblowing HRK-konform als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis definieren werden, während andere dies DFG-konform nicht tun.

Grundlegendes Problem: was sind “Whistleblower”

In meinen Augen liegt das Kernproblem von Empfehlung Nr. 17 darin, dass eine wichtige Unterscheidung nicht getroffen wird:
Whistleblower verfügen in der Regel über Informationen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Dieser Begriff wird aber in Nr. 17 implizit auch für jeden anderen verwendet, der wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentiert. Diese Begriffsvermengung bekräftigt eine der Autorinnen der Empfehlung, Frau Beisiegel, indem Sie den Passus explizit auf VroniPlag bezieht.

Wie FAZ-Wissenschaftsredakteur Joachim Müller-Jung in einem Blog-Eintrag schön darlegt, machen Plagiate und Fälschungen nur einen kleinen Teil des Fehlverhaltens aus, um das sich Ombudspersonen kümmern müssen.

Wenn Whistleblower über Informationen verfügen, die noch nicht öffentlich bekannt sind, sollten sie diese vertraulich an eine Ombudsperson herantragen. Ich bin wie DFG und HRK der Meinung, dass interne Probleme innerhalb einer Forschungsgruppe zuerst vertraulich behandelt werden sollten.
Hierfür liefert Nr. 17 wichtige Regeln.
Außenstehende haben hier normalerweise wenig Einblick in die Probleme. Wenn vage Gerüchte die Runde machen, kann das sicherlich auch der Reputation eines Menschen schaden. Oft gibt es auch nicht nur eine Wahrheit. Anonymität der Hinweisgeber kann hier in der Tat bei der Aufklärung von Fehlverhalten hinderlich sein. Internes Fehlverhalten hat in der Regel auch noch wenig Auswirkung auf Wissenschaftler außerhalb der jeweiligen Forschungsgruppe.

Sobald sich Fehlverhalten aber in öffentlichen Publikationen niederschlägt, wie bei Fälschungen und Plagiaten, sehe ich keinen Bedarf mehr für solche Vertraulichkeit.
Veröffentlichte Werke können von allen Menschen auf Indizien für Fehlverhalten untersucht werden. Hier spielt es keine Rolle, wer diese Kritik äußert, und weshalb. Solange diese Kritik sich nur auf öffentlich zugängliche Quellen stützt, kann jeder Außenstehende die Validität der Vorwürfe selbst überprüfen. Böswillige Vorwürfe entpuppen sich dann schnell als unhaltbar.
Empfehlung Nr. 17 sollte nicht dazu dienen, Wissenschaftler vor einem Verlust jener Reputation zu bewahren, die sie nur durch plagiierte oder gefälschte Veröffentlichungen errungen haben.

Es wäre daher sinnvoll, die in Empfehlung Nr. 17 geforderte Vertraulichkeit klar auf oben beschriebenes internes Fehlverhalten zu beschränken und Fehlverhalten in Veröffentlichungen explizit davon auszunehmen.

Armin Himmelrath prognostiziert im Deutschlandradio:

“[…] die werden diesen Punkt 17 wahrscheinlich in ein paar Jahren wieder überarbeiten müssen.”

Bleibt zu hoffen, dass dies schon eher passieren wird.
Deshalb habe ich auch die Petition unterzeichnet.

Was noch besser wäre: mehr Offenheit

Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens die sich auf spezifische Publikationen beziehen können auch öffentlich diskutiert werden.
Hier sollten – wie gesagt – die DFG-Empfehlungen keine Vertraulichkeit fordern.
Noch besser wäre allerdings, wenn solche Vorwürfe auch regelmäßig öffentlich untersucht würden.
Was spricht dagegen, dass alle Gutachten in universitären Untersuchungsverfahren veröffentlicht werden, solange sie sich auf öffentlich zugängliche Informationen beziehen?
Informationen, die die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten berühren, sollten natürlich vertraulich behandelt werden. Wenn aber ein Gutachter potentielle Plagiate dokumentiert oder die Validität von Rohdaten bewertet, dann sollte er auch öffentlich dazu stehen dürfen und müssen.

Was spräche also gegen eine größere Offenheit bei der institutionellen Untersuchung von wissenschaftlichem Fehlverhalten?
Dafür spräche vieles: die Glaubwürdigkeit des Wissenschaftssystems würde gestärkt, Externe könnten besser zur Aufklärung beitragen, und Fachkollegen wüssten früher, ob sie sich auf die Erkenntnisse in einem umstrittenen Paper verlassen können.

Auch wenn ich großes Vertrauen in das Ombudssystem in Deutschland habe: ein weiterer Vorteil wäre, dass berechtigte Vorwürfe noch weniger leicht ignoriert werden könnten.

Täter sind in der Regel nicht daran interessiert, dass ihr Fehlverhalten öffentlich wird. Wie Ralf Neumann im Laborjournal wundervoll schildert, sind manchmal auch die direkten Opfer wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht an dessen Veröffentlichung interessiert. Und es ist nicht verwunderlich, dass universitäre Kommissionen auch das Interesse haben, negative Schlagzeilen zu vermeiden.

Selbst wenn manchmal keiner der direkt Beteiligten ein Interesse an Aufklärung hat, so ist die konsequente Aufdeckung und Diskussion von wissenschaftlichem Fehlverhalten eminent wichtig für die Wissenschaftsgemeinschaft – und für die gesellschaftliche Akzeptanz der Wissenschaft.

HRK und (teilweise) DFG scheinen öffentliche Diskussion und universitäres Ombudssystem als sich gegenseitig ausschließende Gegensätze zu sehen. Dabei würden beide Seiten von einer stärkeren Integration profitieren.

Nicht nur wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn profitiert von Offenheit – auch wissenschaftliche Selbstkontrolle.

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3 Comments

  1. Ins Netz gegangen (8.7.) | "Nächstens mehr."
  2. Warum die neue DFG-Empfehlung Nr. 17 der Wissenschaft schadet | Reflected Total Internal Frustration
  3. Wissenschaftsorganisationen und wissenschaftliches Fehlverhalten | Erbloggtes

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